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Warum schnell, gut und günstig nicht vereinbar sind

Ein Plädoyer für ein neues Selbstverständnis

Qualität ist kein Zufall, sondern das Ergebnis angestrengten Denkens”,wusste schon der britische Schriftsteller John Ruskin im 19. Jahrhundert. Diese Erkenntnis scheint jedoch im 21. Jahrhundert verloren gegangen zu sein. Doch woher kommen die sich ändernden Vorstellungen und wir begegnen wir als Dienstleister hier unseren Kunden und welche Veränderung muss durch die Branche gehen?

Stellen wir uns einmal folgendes Szenario vor: Du gehst zum Arzt, nennen wir ihn Dr. Orange. Du erzählst ihm von deinen Symptomen und den vielen schlechten Ärzten, die du zuvor besucht hast. Du klagst dein Leid darüber, dass niemand dir helfen konnte. Nun bist du aber bei Dr. Orange und hoffst, dass er dir endlich helfen kann. Dr. Orange freut sich über diese Wertschätzung er nimmt sich Zeit, untersucht dich und stellt schließlich seine Diagnose: Deine Kniescheibe ist defekt, eine neue muss her. Er erklärt dir die Gründe dafür, zu lange hast du nicht auf dein Knie geachtet.
Dr. Orange zeigt dir einige Übungen, um bis zum OP Termin weniger Schmerzen zu haben. Er zeigt dir auch mehrere Wege auf, wie das Knie zu behandeln sei: entweder wird die Kniescheibe “geflickt” oder durch eine neue, künstliche Kniescheibe ersetzt. Du bist natürlich schlecht krankenversichert, möchtest aber dennoch in einer Woche operiert werden und die neue Kniescheibe haben.

Dr. Orange sagt, dass sei grundsätzlich möglich jedoch recht kostspielig und die Kniescheiben seien erst in einigen Wochen verfügbar. Du müsstest dich also entscheiden, entweder die kurzfristig verfügbare und günstige Lösung oder die teurere aber dafür erst später verfügbare, neue Kniescheibe.

Wie würdest du reagieren? Klingt das nicht vernünftig? Würdest du nicht rational die Argumente abwägen und denken “eine Kniescheibe ist wichtig, um mobil zu bleiben, sie hilft mir meinen Beruf ausüben zu können” oder “die teure Variante kann ich mir gar nicht leisten, dafür ist die günstigere Alternative schneller verfügbar und ich bin die Schmerzen los” – oder würdest du wutentbrannt die Praxis des Arztes verlassen, den nächsten Arzt aufsuchen und dich erneut über die vielen schlechten Ärzte beklagen, die dir alle nicht helfen konnten?

Sicherlich liegt die Antwort auf der Hand, hat dir Dr. Orange einfach nur die Möglichkeiten aufgezeigt. Natürlich steht es dir frei dir eine zweite Meinung einzuholen, doch es lässt sich festhalten: Eine gute Qualität, zu einem günstigen Preis in kürzester Zeit sind nicht vereinbar.

Wieso ist es also in unserem Arztszenario beinahe undenkbar, dass sich diese Szene so abspielt, während dies in der Agenturwelt fast täglich stattfindet.

Wer sind die Urheber für diesen Umstand, die Kunden oder die Agenturen? Grundsätzlich kann man hier beiden Teilnehmern eine Teilschuld zusprechen, zugegebenermaßen ist die Schuld auf Seiten der Agenturen größer. Die Kunden als kapitalistische Marktteilnehmer fragen zur Erfüllung ihrer Geschäftsziele eine Leistung bei einer Agentur an und freuen sich natürlich über eine gute Leistungserbringung zu einem günstigen Preis in kürzester Zeit. Grundsätzlich spielen sie im Rahmen der Regeln des Systems. Durchaus kann man an dieser Stelle eine geschäftsethische Debatte führen, in wie weit der Kunde nicht auch Interesse an einem fairen Geschäftsverhältnis haben sollte, doch auf Grund von Intransparenz und fehlender Kommunikation ist sich der Kunde häufig seiner eigenen Schuld nicht einmal bewusst.

Demnach ist der Hauptverantwortliche an dieser Stelle die Agentur, nein viel mehr die Gesamtzahl der Agenturen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben unzählige Agenturen den Schwarzen Peter der Respektlosigkeit weitergereicht, indem durch ein ewiges “Ja klar, das bekommen wir bis morgen hin” und “das berechnen wir nicht extra” aus der Dienstleistung ein Dienst geworden ist. Diese „Frondienstattitüde“ der Agenturwelt hat jegliche Wertschätzung und Anerkennung auf Kundenseite aus dem Markt erodiert.

Diese Entwicklung erklärt auch die immer kürzer werdenden Geschäftsbeziehungen zwischen Agentur und Kunde, hat der Kunde in den seltensten Fällen wirkliche Wechselkosten, wird sein Wechsel doch eher durch günstigere Preise und schnellere Lieferung belohnt.

Aber was ist das Ergebnis dieser Veränderung? Was bleibt auf der Strecke? Zu beobachten sind hier vor allem zwei Tendenzen:

  1. Die Unzufriedenheit der Mitarbeiter wächst. Kreative Inflation, unbezahlte Überstunden, Burnout und Kündigungen machen Designer und Texter nicht zu den glücklichsten Mitarbeitern (vgl. W&V 2016).
  2. Die Qualität leidet. Kommen wir zur Ausgangsgleichung zurück: Wenn Qualität das Resultat angestrengten Denkens ist und dies nicht mehr möglich ist, so bleibt Qualität zuerst auf der Strecke. Denn Qualität ist häufig nur schwer direkt oder überhaupt messbar. Zeit und Kosten sind gelernte Metriken des Systems, aber um Qualität erkennen und bewerten zu können bedarf es Erfahrung oder messbaren Kennzahlen.

Und so werden Kampagnen ineffektiv oder redundant, Digitalisierungsprojekte ungeplant und wirkungslos und User Experience Maßnahmen belanglos und bleiben ungetestet.

Wie können wir als Agentur raus aus diesem Dilemma? Wie wird aus dem Dienst wieder eine Dienstleistung? Unsere Antwort: Tod der Agentur, es leben Studios, Kollektive, und Lösungsentwickler! Wenn wir den degradierten Begriff der Agentur verlassen, können wir unseren weißen Kittel wieder überstreifen und unseren Expertenstatus zurückgewinnen. Wenn wir aufhören uns und unsere Branchenkollegen zu untergraben, können wir anfangen Qualität abzuliefern, die nachhaltig und wertvoll Kunden und Dienstleister erfolgreich macht.

Nun wirst du sagen, was hilft es den Namen zu ändern, das löst doch nicht das Problem? Und da hast du recht. Neben dem völlig abgenutzten Begriff der Agentur ist es vor allem die Haltung, die sich ändern muss. Aufhören Agentur zu sein, muss bedeuten aufzuhören Bittsteller zu sein. Du bist Experte in deinem Gebiet, du hast dir über Jahre eine Expertise angeeignet und dies ist der Grund, warum dein Kunde dich beauftragen möchte. Du schlägst dem Arzt auch keine alternative Behandlungsmethode nach seiner Diagnose vor. Zweifelst du am Vorhaben des Arztes oder seiner Qualifikation, so kannst du dich umhören und dir eine zweite Meinung einholen.

Als Kreativbranche müssen wir zurück zu diesem Verständnis finden, wir müssen selbstbewusst unsere Fähigkeiten vermarkten und unseren Kunden Grenzen aufzeigen. Nur dann haben wir die Chance ein partnerschaftliches Kundenverhältnis aufzubauen, das nicht nur Erfolge produziert, sondern auch beide Seiten glücklich macht.

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